Lernen aus Text
Drei Ebenen der Repräsentation von Textinhalten:
- Textoberfläche
Sprachlichen Details, wörtliches Abbild. In der Regel nicht angestrebt. - Textbasis
"Globale Kohärenzbildung geht nicht ohne lokale Kohärenzbildung."
Sammlung von Propositionen (= von konkreter Formulierung unabhängig zu denkende Aussagen im Rahmen eines ersten Leseverständnisses); lokale Kohärenzbildung (z. B. Zuordnung eines Pronomens zu Bezugswort) ist meist unproblematisch.
Anders bei globaler Kohärenzbildung, d. h. der sinnevollen Organisation einzelner Textaussagen zur Erlangung eines "roten Fadens". Diese gelingt Lernenden nicht immer, etwa wegen eines wenig leserfreundlichen Textes, geringer Motivation der Lernenden oder deren unzureichenden Vorwissen.
Für globale Kohärenzbildung ist die Konstruktion von Makropropositionen erforderlich, indem Einzelpropositionen verdichtet werden "durch- Auslassung unwichtiger Propositionen,
- Verallgemeinerung von Einzelpropositionen auf einem höhren Abstraktionsgrad,
- Konstruktion einer neuen Propostion für eine Kette von Propositionen."
- Situationsmodell
Repräsentation eines Textes, die substanziell mit Vorwissen angereichert ist.
Sie beinhaltet ein Mehr an Information und Verständnis, erlaubt es aber auch, die Textinformationen zu nutzen, um Schlussfolgerungen für neue Kontexte zu ziehen und Probleme zu lösen. (Messung häufig durch Fähigkeit, ob gültige von ungültigen Schlussfolgerungen unterschieden werden können)
Sie unterliegt der geringsten Vergessensrate.
Deep Learning (= bedeutungshaltiges Lernen) ist erst nach Aufbau eines Situationsmodells erfolgt.
Die Qualität des Textlernens wird beeinflusst durch drei Aspekte:
- Qualitätsmerkmale des Textes
Einführungen, Länge und Einfachheit der Sätze, Hervorhebung zentraler Begriff oder Aussagen. - Vorwissen der Lernenden
Je mehr, desto besser. (Höheres Vorwissen kann niedrigere Qualität des Textes kompensieren.) - Mentaler Aktivität der Lernenden
Lernstrategien (Concept-Map, Selbsterklärung, Fragen zum Text formulieren)
Multiple Texte
Oft müssen verschiedene Texte zu einem Thema miteinander in Bezug gesetzt werden. Dies kann angemessen geschehen abhängig von
- der Anzahl der zu integrierenden Texte,
- deren inhaltlicher Überlappung,
- dem Alter der Schüler oder
- der den Lernenden gestellten übergeordneten Aufgabe fürs Lesen.
"Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass ein wirkliches Verstehen von Texten erfordert, dass die Lernenden aktiv den Text verarbeiten. Dies ermöglicht eine Repräsentation der Textinhalte auf der Ebene eines situationalen Modells. Erst dies erlaubt es, mit dem aus
dem Text Gelernten „etwas anzufangen“ (z. B. Schlussfolgerungen ziehen, Probleme lösen). Zudem kann das Erlernte dann längerfristig behalten werden. In vielen Situationen müssen Lernende multiple Texte integrieren, um ausreichend über einen Lerngegenstand informiert zu
sein."
Lernen aus Beispielen und Modellen (Beispielbasiertes Lernen)
Bearbeitung mehrerer Beispiele, um Verstehen herzustellen; anschließend werden Aufgaben "verstehensorientiert" selbständig bearbeitet.
Komplexe Beispiele werden als Modelle bezeichnet.
Lösungsbeispieleffekt (Worked-Example-Effect): beispielbasiertes Lernen ist sehr effektiv und effizient. Aufgaben werden erst dann bearbeitet, wenn bereits grundlegendes Verständnis der zugrunde liegenden Prinzipien und deren Anwendung erworben worden sind.
(Es wird auf das "Durchwurschteln", welches nach der Cognitive-Load-Theorie eine extrinisische Belastung darstellt, verzichtet.)
Bei der Präsentation der Beispiele ist darauf zu achten, dass die Effizienz nicht durch den Splitt-Attention-Effekt reduziert wird. Nutzung des Modalitätseffekts: Bild/Grafik und gesprochener Text führen zu besserem Wissenserwerb als Bild und geschriebener Text. Alternativ in Grafik integrierte Beschriftungen.
Vermeidung von oberflächlichlicher Bearbeitung durch Einfügen von Prompts (Leitfragen, Aufforderungen), mit denen sich die Lernenden die Logik der Beispiellösung bewusst machen (= Selbsterklärung/Self-Explanation-Effect; prinzipienbasierte Erklärung)
Der Worked-Example-Effekt beschränkt sich auf den anfänglichen Erwerb kognitiver Fähigkeiten. Zur Automatisierung ist die eigenständige Bearbeitung von Aufgaben erforderlich. "Um einen fließenden Übergang zum Aufgabenbearbeiten zu bewerkstelligen, haben Renkl und Atkinson (2003) folgendes Rational entwickelt, das sich inzwischen vielfach bewährt hat: Zunächst werden vollständige Beispiele präsentiert, in die dann allmählich immer mehr Lücken und damit Anforderungen der Aufgabenbearbeitung integriert werden – bis am Ende die Lernenden die Aufgaben komplett selbstständig lösen. Diese Ausblendprozedur ist besonders effektiv, wenn sie an den individuellen Lernfortschritt der einzelnen Lernenden angepasst wird (Kalyuga und Sweller 2004; Salden et al. 2009)."
Lernen aus Aufgabenbearbeitung
Positiv-Beispiele sind Cognitive Tutors (basierend auf auf ACT-Theorie) mit zwei Mechanismen: Model Tracing und Knowledge Tracing. Dabei werden Aufgaben unterstütz bearbeitet.
Model Tracing: Erstellung eines Systems von Produktionsregeln inklusive typischer Fehler. Somit können maßgeschneiderte Hilfen gegeben werden.
Knowledge Tracing: Wahrscheinlichkeitsschätzungen über das Verständnis des Lernenden => "Skill Bars" für Feedback zu aktuellem Wissensstand, ggf. zusätzliche Aufgaben bis zur Beherrschung (Mastery-Prinzip)
Cognitive Tutors sind keine Stand-Alone-Anwendungen, sondern müssen angemessen vorbereitet werden.
"Zusammenfassend kann man festhalten, dass Lernen durch unterstütztes Aufgabenbearbeiten eine effektive Methode sein kann, Verstehen und prozedurales Wissen zu fördern. Lernen durch Aufgabenbearbeiten ist sogar unabdingbar, wenn es um die Ziele der Stärkung und Automatisierung geht. Für die Feinabstimmung sollte die Übung in reflektierter Weise erfolgen."
Darüber hinaus ist jeweils das "assistance dilemma" zu lösen, d. h. auf der Dimension Informationsvorgabe vs. Informationszurückhaltung die richtige Mixtur zu finden.
"Unterricht und Instruktionsdesign haben also die Aufgabe, die lernrelevanten Prozesse zu trainieren und auszulösen, die von den Lernenden spontan nicht gezeigt werden (können). "