Perspektive des aktiven Tuns
Aktives Problemlösen und Diskurs sind besonders bedeutsam.
Drill-and-Practice-Lernprogramme (computerbasiert), richtige Lösungen werden bekräftigt, individuelle Anpassung ans Lerntempo.
Moderne Formen sind Konstruktivismus (Piaget) und Sozialkonstruktivismus (Vygotsky) [Manipulieren von Lerngegenständen, gemeinsames Problemlösen und aktive Diskursteilnahme]. Hier sind Aktivitäten immer an konkrete Situationen gebunden (Situiertheitsansatz). Dieser Ansatz wird durch die Idee des "trägen Wissens" begründet: Wissen, das in Prüfungen abrufbar ist, aber ein Transfer ist nicht möglich.
Diese Perspektive wird kritisch gesehen:
- Pauli & Lipowsky (2007): verbal aktive Schüler (=prototypisch aktives Lernverhalten) lernen nicht mehr als andere.
- Renkl (1997): Lernen durch Lehren (Paradebeispiel für aktives Lernen) versetzt die Lernenden in Stress und überfordert sie, wenn sie sich in einem Lernbereich noch in anfänglichen Lernstadien befinden.
"Es ist lernförderlicher, mehrere Lösungsbeispiele zu bearbeiten, statt bald (z. B. nach einem Beispiel) zum Bearbeiten von Aufgaben überzugehen. Dies gilt sogar dann, wenn das Lernen durch Aufgabenbearbeiten in "ausgefeilter" Weise unterstützt wird (z. B. Schwonke et al. 2009). Das scheinbar passive Studium von Lösungsbeispielen ist also die bessere Alternative. Zugleich zeigen Untersuchungen, dass die mentalen Lernaktivitäten beim Beispielstudium von ganz entscheidender Bedeutung für den Lernerfolg sind (Renkl, 2014)"
Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung (derzeit dominant)
Aktive mentale Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand ist besonders bedeutsam.
Effektive lernrelevante Informationsverarbeitung wird im Arbeitsgedächtnis vollzogen! Aufgenommene Daten werden durch Verknüpfung mit Vorwissen aus Langzeitgedächtnis interpretiert und mit Bedeutung belegt (konstruktivistische Kernannahme).
Gedächtnisabruf und Interpretation sind eng miteinander verwoben. Durch Interpretation wird die Bildung von Chunks möglich => effizientere Nutzung der begrenzten Kapazität des Arbeitsgedächtnisses bei komplexem Stoff; dabei sind komplexe Schemata hilfreich.
Exkurs: Cognitive-Load-Theory
Extrinsic Load: Unnötige Belastung des Arbeitsgedächtnisses beeinträchtigt das Lernen (z. B. "Splitt-Attention"-Effekt; (Details einer) Abbildung kann nur schwer zugehörigen Textinhalten zugeordnet werden); (abh. von Gestaltung des Lernmaterials).
Intrinsic Load: Mehrere Aspekte müssen gleichzeitig beachtet werden bei komplexen Zusammenhängen (abh. von Komplexität des Inhalts).
Die Loads sind immer auch vom Vorwissen abhängig.
Die Kombination von hoher intrinsischer und extrinsischer Belastung kann zu einer kognitiven Überforderung ("overload") führen; Wissenserwerb ist dann beeinträchtigt oder unmöglich.
Germane Load: Lernbezogene Belastung, die aus Wissenskonstruktionsprozessen resultiert (mentale (Lern-)Aktivität)
Im Langzeitspeicher abgelegtes Wissen hinterlässt eine überdauernde, ggf. schwache Spur. Der Zugang dazu wird erleichtert, wenn das Wissen mit zahlreichen anderen Wissenselementen in Verbindung steht.
"Lernen bedeutet letzendlich, Informationen mit bereits vorhandenen Wissenelementen zu vernetzen (Elaboration). [...]
Lernen ist Andocken neuer Information an das Vorwissen!"
Prozesse des Wissenserwerbs, die im Arbeitsgedächtnis stattfinden:
- Interpretieren
Durch Interpretieren eingehender Daten entsteht Information. Für weitere Lern- und Problemlöseprozesse ist die Qualität der Interpretation einer Problemrepräsentation (Problemstellung) entscheidend. Für eine gute Interpretation erforderliches Vorwissen muss häufig absichtsvoll/strategisch von außen aktiviert werden, z. B. durch Lehrkraft.
Bsp.: Verständnis von Textaufgabe- Zu verstehende und druch plausible Schlussfolgerungen zu ergänzende kurze Geschichte
- Übung, bei der Zahlen herausgesucht und eine naheliegende Rechenoperationen durchgeführt werden müssen.
- Selegieren
Aus zahlreichen einströmenden Reizen müssen die wichtigsten und zentralen herausgefilter werden - Organisieren
Bewusstheit von (hierarchischen) Zusammenhängen,
z. B. Identifikation einer zentralen Textaussage, Anfertigen von Schaubildern - Elaborieren
Integration von neuer Information in Vorwissen,
z. B. sich ein eigenes Beispiel überlegen, Analogien ziehen, etwas in eigene Worte fassen oder etwas kritisch vor dem Hintergrund des eigenen Vorwissens bewerten - Stärken
Eine Stärkung von Gedächtnisinhalten (deklaratives Wissen) gelingt am besten durch ein Abruftraining (Testing-Effekt); dieses sollte mit Mühe verbunden, aber dennoch erfolgreich sein.
Wiederholung ist sowohl für deklaratives als auch prozedurales Wissen bedeutsam.
Durch Automatisierung werden weniger Aufmerksamkeitsressourcen in Anspruch genommen. - Generieren
Beim Erkunden und Erforschen eines Gegenstandsbereichs sollen bereits Inferenzen (Schlussfolgerungen) gezogen und damit Wissen generiert werden. Ideal ist z. B. die Konstruktion abstrahiertere Wissensstrukturen, wenn etwa aus mehreren Beispieln zu einem bestimmten Problemtyp ein Schema eben dafür konstruiert wird. - Metakognitives Planen, Überwachen und Regulieren
- Lernende planen ihr Vorgehen beim Lernen.
- Sie fragen sich selbst, ob sie den Stoff gut verstanden haben (Überwachen).
- Sie ergreifen Maßnahmen, um Verständnislücken oder Schwierigkeiten bei einer Problembearbeitung zu überwinden (remediales Regulieren).
Beachte: Prozesse des Wissenserwerbs sind nicht identisch mit Lernstrategien. Letztere können verschiedene Funktionen erfüllen.
Perspektive der fokussierenden Informationsverarbeitung
Aktive mentale Auseinandersetzung, die zentrale Konzepte (Begriffe) und Prinzipien (Gesetze/mathemat. Sätze) in einem Lernbereich fokussiert, ist besonders bedeutsam.
Der Erwerb auf korrekte Weise ist förderlicher als ein Erwerb, bei dem durch Leitfragen etc. auch fehlpriorisierte Konzepte erworben werden, oder aber bei dem verführerische Details störend verarbeitet werden.
Die Gestaltung von Lehr-Lern-Arrangements hängt stark von der zugrunde gelegten Perspektive ab. Renkl, 2020 plädiert für die zukünftige Verwendung der Perspektive der fokussierenden Informationsverarbeitung.
Allen Perspektiven gemeinsam ist die aktive Auseinandersetzung mit dem Lernstoff. Unterschieden wird, ob bloßes Handeln reicht oder eine mentale Verabeitung erforderlich ist. Ferner kann die Verarbeitung allgemeiner Art sein, oder fokussiert und auf korrekte Weise.